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Entspannung für Startups durch vorübergehende Anpassung der Insolvenzantragspflicht

Die Ukrainekrise und die damit verbundene Situation auf den Energie- und Rohstoffmärkten haben zu Unsicherheiten und Belastungen für die Wirtschaft geführt. Hierauf hat der Bundestag reagiert und durch das Gesetz zur vorübergehenden Anpassung sanierungs- und insolvenzrechtlicher Vorschriften zur Abmilderung von Krisenfolgen (SanInsKG) mit Wirkung ab dem 9. November 2022 u.a. die Insolvenzantragspflicht wegen Überschuldung vorübergehend abgemildert. Diese Gesetzesänderung dürfte Gründer:innen und Investor:innen entspannter in das neue Jahr starten lassen.

Die Änderungen auf einen Blick

Für Startups sind insbesondere die beiden folgenden, zunächst bis zum 31. Dezember 2023 befristeten Änderungen durch das SanInsKG relevant:

  1. Der Prognosezeitraum für die Überschuldungsprüfung wurde von zwölf Monaten auf vier Monate verkürzt.
  2. Die Höchstfrist für die Stellung eines Insolvenzantrags wegen Überschuldung wurde von sechs auf acht Wochen verlängert.

Anders als beim COVID-19-Insolvenzaussetzungsgesetz (COVInsAG) kommen alle Unternehmen in den Genuss dieser Erleichterungen – unabhängig davon, ob sie von der aktuellen Krise betroffen sind. Auf ein entsprechendes Kausalitätserfordernis hat der Gesetzgeber bewusst verzichtet.

Verkürzung des Prognosezeitraums für die Überschuldungsprüfung auf vier Monate

Eine insolvenzrechtlich relevante Überschuldung (§ 19 InsO) wird im Grundsatz zweistufig ermittelt:

  1. Deckt das Vermögen einer Gesellschaft deren bestehende Verbindlichkeiten nicht, liegt aus bilanzieller Sicht eine rechnerische Überschuldung vor. Ein Indiz für eine solche rechnerische Überschuldung ist beispielsweise ein in der Handelsbilanz ausgewiesener, nicht durch Eigenkapital gedeckter Fehlbetrag.
  2. Eine rechnerische Überschuldung ist allerdings insolvenzrechtlich nicht relevant, wenn die Fortführung des Unternehmens während eines zeitlich begrenzten Prognosezeitraums den Umständen nach überwiegend wahrscheinlich ist (sog. Fortbestehensprognose). Das wiederum ist der Fall, wenn die Gesellschaft bei Fortführung der Geschäftstätigkeit mit einer Wahrscheinlichkeit von mehr als 50% während des Prognosezeitraums zahlungsfähig (mit anderen Worten: durchfinanziert) bleibt.

Der Prognosezeitraum der Fortbestehensprognose (2. Stufe) wurde durch die Gesetzesänderung vorübergehend von zwölf Monaten auf vier Monate verkürzt. Das erleichtert Gründer:innen, eine positive Fortbestehensprognose darzulegen, und gibt ihnen mehr Zeit bis zur nächsten Finanzierungsrunde. Denn während Unternehmen bislang für die Annahme einer positiven Fortbestehensprognose mit überwiegender Wahrscheinlichkeit für volle zwölf Monate durchfinanziert sein mussten, können Startups im aktuell unsicheren Marktumfeld weiter wirtschaften, solange ihnen noch für mindestens vier Monate Liquidität verbleibt. Das mag insbesondere Gründer:innen ruhiger schlafen lassen, die vor der nächsten Finanzierungsrunde noch weitere Meilensteine erfüllen müssen.

Die Position der Gründer:innen wurde in diesem Zusammenhang zuletzt im Juli 2021 und im Februar 2022 durch zwei Urteile des OLG Düsseldorf gestärkt.[1] Um eine anstehende Finanzierungsrunde oder eine durch einen Investor in Aussicht gestellte Finanzierung im Rahmen der Fortbestehensprognose berücksichtigen zu können, benötigt ein Startup nach Ansicht des OLG Düsseldorf keinen rechtlich gesicherten Anspruch. Gründer:innen dürfen im Rahmen der Fortbestehensprognose im Grundsatz auf weitere Mittel von Bestandsinvestoren vertrauen, wenn das Geschäftsmodell auf einer nachvollziehbaren, realistischen (Finanz-)Planung mit einem operativen Konzept basiert, durch das das Unternehmen auf Dauer ausreichend eigene Erträge erzielt, und der Investor bei Vorlage einer solchen Planung eine weitere Finanzierung in Aussicht gestellt hat.

Eine Erleichterung bei der Insolvenzantragspflicht wegen Zahlungsunfähigkeit (§ 17 InsO) sieht das SanInsKG im Gegensatz zum COVInsAG nicht vor. Zahlungsunfähigkeit liegt (vereinfacht dargestellt) vor, wenn die fälligen Verbindlichkeiten der Gesellschaft ihre liquiden Mittel übersteigen. Sobald die freie Liquidität bzw. das Delta zwischen liquiden Mitteln und fälligen Verbindlichkeiten kleiner wird, sollte die Liquidität durch eine rollierende 13-Wochen-Liquiditätsplanung engmaschig überprüft werden. Insoweit besteht eine große Überschneidung zum nunmehr verkürzten Prognosezeitraum.

Verlängerung der Höchstfrist für den Insolvenzantrag wegen Überschuldung auf acht Wochen

Ist eine Gesellschaft zahlungsunfähig oder überschuldet, müssen ihre Geschäftsführer ohne schuldhaftes Zögern, spätestens jedoch innerhalb von drei Wochen (im Fall der Zahlungsunfähigkeit) bzw. sechs Wochen (im Fall der Überschuldung) Insolvenzantrag stellen.

Die sechswöchige Höchstfrist für die Stellung eines Insolvenzantrags wegen Überschuldung wurde erst zum 1. Januar 2021 von drei Wochen auf sechs Wochen verlängert. Anstelle von sechs Wochen tritt nunmehr nach dem SanInsKG eine Höchstfrist von acht Wochen, um Unternehmen noch mehr Zeit für Sanierungen einzuräumen. Die Höchstfrist darf jedoch nur ausgeschöpft werden, sofern in dieser Zeit die begründete Aussicht besteht, dass die Überschuldung beseitigt werden kann. Andernfalls muss der Insolvenzantrag unverzüglich gestellt werden.

Gründer:innen und Investor:innen haben demnach selbst bei Wegfall der Fortbestehensprognose und dem damit verbundenen Eintritt der Überschuldung noch Zeit, eine kurzfristige Lösung zu finden. Innerhalb der Höchstfrist von acht Wochen dürften insbesondere die in der Startup-Szene üblichen Überbrückungsfinanzierungen in Form von Wandeldarlehen durch Bestands- oder Neuinvestoren einen Ausweg bieten. Wichtig ist, dass in dieser Zeit die Liquidität nicht ausgeht und der Geschäftsbetrieb am Leben erhalten werden kann.

Die Höchstfrist für die Stellung eines Insolvenzantrags wegen Zahlungsunfähigkeit bleibt unverändert bei drei Wochen.

Befristung der Anpassungen

Die durch das SanInsKG geschaffenen Anpassungen sind zunächst bis zum 31. Dezember 2023 befristet. Der ursprüngliche Prognosezeitraum von zwölf Monaten könnte aber bereits ab dem 1. September 2023 wieder relevant werden, wenn dann nämlich bereits absehbar ist, dass eine Durchfinanzierung unmittelbar nach dem 31. Dezember 2023 auf Grundlage des dann wieder anwendbaren zwölfmonatigen Prognosezeitraums nicht überwiegend wahrscheinlich ist.

Eine Entscheidung des Gesetzgebers, ob die Anpassungen über den 31. Dezember 2023 hinaus verlängert werden, dürfte erst in der zweiten Jahreshälfte 2023 zu erwarten sein und wird maßgeblich davon abhängen, wie sich die Ukrainekrise, die Märkte und die damit verbundenen Prognoseunsicherheiten bis dahin entwickeln.

Fazit

Für viele Startups kommt die mit der Gesetzesänderung verbundene Verkürzung des Prognosezeitraums in Zeiten stagnierender bzw. sinkender Unternehmensbewertungen gerade recht, weil sich Finanzierungsrunden ein wenig verschieben lassen, ohne das Risiko einer persönlichen Haftung für Gründer:innen zu erhöhen. Wichtig ist aus unserer Sicht, die Liquiditätssituation im Blick zu behalten und nicht erst mit den Vorbereitungen der nächsten Finanzierung zu beginnen, wenn die Kasse leer ist. Im Zweifel sollten sich Gründer:innen hierzu rechtzeitig mit ihren Beratern abstimmen.

 

[1] Vgl hierzu den Beitrag unseres Kollegen Christoph Lüttenberg in der GmbHR 2022, S. 974 ff. (gemeinsam mit Elena Auksutat).

 

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