Viele Start-ups nutzen Beteiligungsprogramme wie Employee Stock Option Programs (ESOP) oder Virtual Stock Option Programs (VSOP), um ihre Mitarbeitenden zu motivieren und an sich zu binden. Diese Programme ermöglichen es den Mitarbeitenden, am finanziellen Erfolg des Unternehmens teilzuhaben.
Gelegentlich enthalten diese Programme Klauseln, die bei Eigenkündigung zum unmittelbaren vollständigen Verlust der erdienten Optionsrechte führen, oder ein beschleunigtes De-Vesting, bei dem erdiente Optionsrechte nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses schrittweise verfallen.
Mit Urteil vom 19. März 2025 (10 AZR 67/24 – Pressemitteilung) hat das Bundesarbeitsgericht (BAG) nun grundlegend die Grenzen solcher Verfallklauseln aufgezeigt – mit erheblichen Folgen für die Gestaltung bestehender und künftiger Beteiligungsprogramme.
Der Fall
Der Kläger war von 2018 bis 2020 bei der Beklagten beschäftigt und erhielt 2019 virtuelle Optionen. 2020 kündigte der Kläger das Arbeitsverhältnis.
Laut den Bestimmungen des Mitarbeitendenbeteiligungsprogramms erstreckt sich der Erdienungszeitraum für Optionen („Vesting“) über insgesamt vier Jahre („Vestingperiode“) und beginnt mit einer zwölfmonatigen Wartezeit („Cliffperiode“). Er pausiert, wenn der Mitarbeitende ohne Gehaltsanspruch von der Arbeitsleistung befreit ist. Bei Eigenkündigung des Mitarbeitenden verfallen alle Optionen, auch die erdienten. Erdiente, aber nicht ausgeübte Optionen verfallen zudem schrittweise innerhalb von zwei Jahren nach Ende der Anstellung (sog. De-Vesting).
Bei seiner Kündigung hatte der Kläger knapp ein Drittel seiner virtuellen Optionsrechte erdient. Er forderte diese 2022 ein. Die Beklagte wies den Anspruch des Klägers mit Hinweis auf deren Verfall zurück.
Kernaussagen des BAG
Das BAG betrachtet (erdiente) Optionsrechte als wesentlichen Vergütungsbestandteil.
Klauseln, die den sofortigen Verfall sämtlicher erdienter Optionen (somit Einstufung als „Bad Leaver“-Fall) bei Eigenkündigung vorsehen, sind unwirksam. Sie widersprechen dem Rechtsgedanken des § 611a Abs. 2 BGB, wonach der Arbeitgeber zur Zahlung der vereinbarten Vergütung verpflichtet ist, und stellen ein unverhältnismäßiges Kündigungserschwernis dar, da der Mitarbeitende das Unternehmen bis zum Eintritt eines in aller Regel noch (sehr) ungewissen Ausübungsereignisses nicht verlassen kann, ohne den Verlust der Optionen zu riskieren.
Das Gericht sieht auch ein beschleunigtes De-Vesting, wie es in den Bedingungen des Beteiligungsprogramms der Beklagten geregelt ist, als unwirksam an. Zwar erkennt das BAG an, dass ein stufenweises De-Vesting den mit dem Ausscheiden aus dem Betrieb abnehmenden Einfluss des Arbeitnehmenden für den Unternehmenswert widerspiegele. Die Vorschrift, dass Optionsrechte doppelt so schnell verfallen, wie sie erdient wurden, berücksichtigt jedoch nicht angemessen die Zeit, die der Mitarbeitende für das Erdienen aufgewendet hat.
Das BAG hat hiermit seine bisherige Rechtsprechung zu Aktienoptionen (Urteil vom 28. März 2008 – 10 AZR 351/07), die den sofortigen Verfall erdienter Optionen bei Beendigung eines Arbeitsverhältnisses während einer Wartefrist (im Start-up-Kontext Vestingperiode) als zulässig erachtete, ausdrücklich aufgegeben.
Mögliche Gestaltungsalternativen
Da bislang nur die Pressemitteilung des BAG vorliegt, bleibt das vollständige Urteil abzuwarten. Mit Blick auf seine Entscheidung aus 2008 ist insbesondere fraglich, ob das Gericht weiterhin zwischen Kündigungen vor und nach der Vestingperiode differenziert und Verfallsklauseln, die auf Fälle der Eigenkündigung/Beendigung des Arbeitsverhältnisses während der Vestingperiode beschränkt werden, eher als noch angemessenes Kündigungserschwernis erachtet werden.
Möglicherweise kommen zudem folgende Gestaltungsalternativen für die unzulässigen Verfallsklauseln in Betracht:
- „Loyalty Cliff“: Denkbar ist, von der weit verbreiteten zwölfmonatigen Cliffperiode abzuweichen und diese beispielsweise auf 24 Monate festzulegen, um so den Verlust aller Optionen im Fall der Eigenkündigung zumindest über diesen Zeitraum abzudecken.
- „Grey Leaver“: Unklar ist, wie das BAG zu sog. Grey Leaver-Fällen steht. Klassischerweise verliert der Grey Leaver bei der Eigenkündigung sämtliche noch nicht erdienten und 50% der erdienten Optionen. In Kombination mit einem sog. Good Reason Carve-Out (z.B. Kündigung wegen Pflege naher Angehöriger) könnte hierin eine ausgewogene Abwägung der Interessen der Arbeitgebenden und Arbeitnehmenden gesehen werden, die gegen ein unverhältnismäßiges Kündigungserschwernis spricht.
- „Back Loaded Vesting“: Gelegentlich sieht man im Markt auch ein sog. Back Loaded Vesting, bei dem die Anteile nicht linear, sondern zu progressiv höheren Prozentsätzen erdient werden (z.B. im ersten Jahr zu 10%, im zweiten Jahr zu 20%, im dritten Jahr zu 30% und im vierten Jahr zu 40%).
- „Exit Based Vesting“: Nur ein Teil der insgesamt zugeteilten Optionen (z.B. 50%) vesten linear/zeitlich, der verbleibende Teil wächst dem Arbeitnehmenden nur im Zusammenhang mit einem Exit Event zu.
Das endgültige Urteil könnte ebenfalls mehr Klarheit zur generellen Haltung des BAG zum De-Vesting bringen: Das Gericht scheint sich nicht grundsätzlich derartigen Klauseln zu versagen, solange die De-Vesting Frist angemessen ist. Ob De-Vesting Klauseln flächendeckend für alle Leaver Fälle durchsetzbar sind, ist zumindest fraglich. Hier könnte eine Beschränkung auf Fälle der Eigenkündigung während der Vestingperiode in Betracht kommen.
Offen ist, ob das BAG in den vorgenannten Gestaltungsvarianten eine Umgehung der vorliegenden Rechtsprechung sehen könnte. Jedenfalls adressieren sie aber das vom BAG aufgeworfene Thema und versuchen, einen gerechten Ausgleich zwischen den Interessen des Arbeitgebenden und des Arbeitnehmenden zu finden.
Was Gründer:innen und Unternehmen jetzt beachten sollten
Bestehende ESOP-/VSOP-Regelungen prüfen und die Entscheidung bei Neugestaltung berücksichtigen: Unternehmen sollten bestehende Programme daraufhin prüfen, ob sie AGB-rechtlich unangemessene Verfallklauseln enthalten. Auch die Verfallsklauseln zukünftiger Programme sollten die neue Rechtsprechung berücksichtigen.
Besonderes Augenmerk gilt Klauseln, die
- im Fall einer Eigenkündigung des Arbeitnehmenden den Verfall auch bereits erdienter Optionsrechte vorsehen, sowie
- einen graduellen Verfall der erdienten Optionsrechte nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses, insbesondere mit einer kürzeren Verfallsfrist als die Vestingperiode, vorsehen.
Wir unterstützen Sie gerne bei der Prüfung und Anpassung oder Neugestaltung Ihrer Beteiligungsprogramme, einschließlich solcher, die nach dem Zukunftsfinanzierungsgesetz steuerlich begünstigt sind (§ 19a EStG).
Download YPOG Briefing: Neueste Entwicklungen bei Mitarbeitendenbeteiligungsprogrammen: BAG erklärt Verfall „gevesteter“ virtueller Optionsrechte bei Eigenkündigung und beschleunigtes De-Vesting für unwirksam
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