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Briefing | BGH Rechtsprechung: Neue Erkenntnisse zu Aufklärungspflichten bei Transaktionen

Geschrieben von YPOG | 1. Februar 2024

Mit Urteil vom 15. September 2023 (V ZR 77/22) hat der BGH seine Rechtsprechung zu vorvertraglichen Aufklärungspflichten präzisiert. Der Entscheidung des BGH lag eine Immobilientransaktion zugrunde, jedoch ist zu erwarten, dass sich künftig auch die vorvertraglichen Aufklärungspflichten im Rahmen von M&A- und Venture Capital-Transaktionen an den dort aufgestellten Anforderungen messen lassen müssen. 
Daher können die Ausführungen des BGH zur Wahrheits- und Vollständigkeitspflicht (dazu 1.), zum Umfang vorvertraglicher Aufklärungspflichten (dazu 2.), zu den Anforderungen an die Erfüllung dieser Aufklärungspflichten durch Einstellen der relevanten Informationen in einen Datenraum (dazu 3.) sowie zu den Wirkungen einer vertraglich vereinbarten Kenntnis(fiktion) zu Lasten des Käufers (dazu 4.) fortan als Richtschnur für ein rechtssicheres und risikominimierendes Aufklärungsverhalten durch den Verkäufer dienen. Die Rechtsfolgen einer Aufklärungspflichtverletzung können gravierend sein (dazu 5.). 

 

1. Richtigkeit und Vollständigkeit tatsächlich gemachter Angaben; Erklärungen ins Blaue hinein

Macht der Verkäufer tatsächliche Angaben, die für den Kaufentschluss des anderen Teils von Bedeutung sein können, so müssen diese richtig sein, und zwar auch dann, wenn eine Offenbarungspflicht (dazu sogleich) grundsätzlich nicht besteht. 

Darüber hinaus müssen Fragen des Käufers stets richtig und vollständig beantwortet werden. Beantwortet der Verkäufer eine Frage des Käufers unrichtig, so handelt er bereits mit – für Arglist ausreichendem – Eventualvorsatz, wenn er eine Erklärung abgibt, 

  • die zwar nicht bewusst falsch ist, 
  • deren inhaltliche Richtigkeit der Verkäufer aber vor Abgabe nicht geprüft hat und deren Unrichtigkeit er daher für möglich hält, und 
  • der Verkäufer die sich daraus resultierenden Zweifel dem auf die Erklärung vertrauenden Käufer verschweigt (sog. „Erklärung ins Blaue hinein“)

2. Aufklärungspflicht bezüglich vertragsvereitelungsfähiger Umstände


Zwar besteht bei Vertragsverhandlungen keine allgemeine Rechtspflicht, den anderen Teil über alle Einzelheiten und Umstände aufzuklären, die dessen Willensentschließung beeinflussen könnten. Vielmehr ist grundsätzlich jeder Verhandlungspartner für sein rechtsgeschäftliches Handeln selbst verantwortlich und muss sich deshalb die für die eigene Willensentscheidung notwendigen Informationen auf eigene Kosten und eigenes Risiko selbst beschaffen. 

Allerdings besteht nach ständiger – und mit der vorliegenden BGH Entscheidung perpetuierter – höchstrichterlicher Rechtsprechung auch bei Vertragsverhandlungen, in denen die Parteien entgegengesetzte Interessen verfolgen, für jeden Vertragspartner die Pflicht, den anderen Teil über Umstände aufzuklären, die den Vertragszweck des anderen vereiteln können und daher für seinen Entschluss von wesentlicher Bedeutung sind, sofern er die Mitteilung nach Treu und Glauben unter Berücksichtigung der Vertragsanschauung redlicherweise erwarten darf. Im konkreten Fall entschied der BGH etwa, dass der Verkäuferin im Hinblick auf potenzielle Sanierungsmaßnahmen in Höhe von EUR 50 Mio. (bei einem Kaufpreis von EUR 1.5 Mio.) einer Aufklärungspflicht unterlag. Doch auch bei weniger „offensichtlichen“ Fällen kann eine Aufklärungspflicht bestehen. 

 

3. Erfüllung der Aufklärungspflicht durch Bereitstellung der relevanten Informationen im Datenraum? Es kommt drauf an... 

Des Weiteren stellt der BGH fest, dass die für den Käufer abstrakt bestehende bloße Möglichkeit, sich die Kenntnis von dem offenbarungspflichtigen Umstand selbst zu verschaffen, die Pflicht des Verkäufers zur Offenbarung nicht von vorneherein ausschließt. Allein der Umstand, dass der Verkäufer einen Datenraum einrichtet und der Käufer auf dieser Grundlage eine Due Diligence durchführt, lässt nicht stets den Schluss zu, dass der Käufer den in dem Datenraum befindlichen offenbarungspflichtigen Umstand zur Kenntnis nehmen wird

Vor diesem Hintergrund gilt: Ist im Einzelfall die Erwartung gerechtfertigt, dass der Käufer bestimmte, von dem Verkäufer in dem Datenraum bereitgestellte Informationen im Rahmen der Due Diligence wahrnehmen und in seine Kaufentscheidung einbeziehen wird, ist eine gesonderte Aufklärung durch den Verkäufer nicht erforderlich. Daher erfüllt der Verkäufer, der dem Käufer Zugriff auf einen Datenraum mit Unterlagen und Informationen zum Kaufgegenstand gewährt, hierdurch seine Aufklärungspflicht nur, wenn und soweit er aufgrund der Umstände die berechtigte Erwartung haben kann, dass der Käufer durch Einsichtnahme in den Datenraum Kenntnis von dem offenbarungspflichtigen Umstand erlangen wird.

Ob die Erwartung der Kenntnisnahme von der relevanten Information berechtigt ist, hängt – so der BGH – (neben der berechtigten Erwartung, dass überhaupt eine Due Diligence durchgeführt wird) insbesondere von der Strukturierung und Organisation des Datenraums (dazu a) sowie der Art der Information (dazu b) ab.

a) Strukturierung und Organisation des Datenraums

Die berechtigte Erwartung der Kenntnisnahme – und damit die Entbehrlichkeit einer zusätzlichen Aufklärungspflicht – hängt zunächst von der tatsächlichen Einrichtung und Nutzbarkeit des Datenraums ab. Folgende Umstände indizieren eine Kenntnisnahme und sollten daher bei der Einrichtung des Datenraums Berücksichtigung finden: 

  • zutreffende Benennung der Unterlagen,
  • systematische Anordnung der Unterlagen,
  • Vorliegen eines Inhaltsverzeichnisses,
  • Vorliegen einer Suchfunktion,
  • ausreichend Zeit für die Überprüfung der Informationen durch den Käufer, 
  • Hinweise auf nachträglich eingestellte Informationen,
  • Sachkunde und Geschäftsgewandtheit des Käufers

Im konkreten Fall wertete der BGH zu Lasten des Verkäufers insbesondere den Umstand, dass die Dokumente, aus denen man auf die potenziellen Sanierungsmaßnahmen schließen konnte, ohne Hinweise erst drei Tage vor Signing in den Datenraum geladen wurden. Dies sei für die Erfüllung einer Aufklärungspflicht selbst dann nicht ausreichend, wenn eine Frist für das Einstellen von Dokumenten in den Datenraum nicht ausdrücklich vorgesehen sei.

b) Art und Form der relevanten Information

Von Bedeutung sind zudem die Art der relevanten Information sowie die Form, in der die Information dem Käufer zur Kenntnis gebracht wird:
Handelt es sich beispielsweise um einen Umstand, der – für den Verkäufer erkennbar – für den Käufer von ganz erheblicher Bedeutung ist, etwa weil er dem Käufer erheblichen wirtschaftlichen Schaden zufügen kann, und ist der Umstand aus den bereitgestellten Daten nicht ohne Weiteres erkennbar, dem Verkäufer aber bekannt und unschwer zu offenbaren, dann kann der Käufer regelmäßig einen gesonderten Hinweis erwarten. Der Verkäufer darf in diesem Fall nicht abwarten, ob der Käufer die nur schwer erkennbare Information aus den bereitgestellten Daten ermittelt, sondern muss diese trotz Due Diligence auch außerhalb des Datenraums kommunizieren. Ob die relevante Information aus den bereitgestellten Daten ohne Weiteres erkennbar ist, kann auch davon abhängen, ob sie sich in einem Dokument befindet, (i) das ein Käufer vor Abschluss des Kaufvertrags im Regelfall auch ohne besondere Interessen an Einzelaspekten des Kaufgegenstandes (vertieft) durchsehen wird und (ii) in dem bei objektiver Betrachtung die Information typischerweise auch erwartet werden kann.

 

4. Vertragliche Ausgestaltung der Aufklärungspflicht 

Skeptisch äußert sich der BGH zu einer Kaufvertragsregelung, nach der der Käufer – unabhängig von einer tatsächlichen Kenntnisnahme – bestimmte Dokumente erhalten und von deren Inhalt Kenntnis haben soll. Eine solche Erklärung begründet nach Ansicht der BGH keine Kenntnisfiktion, sondern allenfalls eine Beweislastumkehr.

Diese Feststellung gilt im Zweifel auch für Vereinbarungen im Kaufvertrag, die sinngemäß feststellen, dass alle im Datenraum (ordnungsgemäß) eingestellten Unterlagen dem Käufer bekannt sind (Fair-Disclosure-Regelungen) und zwar insbesondere dann, wenn der Datenraum sowie die darin bereitgestellten Informationen nicht den vom BGH aufgestellten Anforderungen (s.o.) genügen. Vor diesem Hintergrund sollten überdies alle wesentlichen Informationen und Umstände, die der Verkäufer gegenüber dem Käufer während des Verkaufsprozesses offengelegt hat und die ggf. mit Garantien abgesichert sind, in Anhängen zum Kaufvertrag, den sog. Disclosure Schedules, niedergelegt werden. 

 

5. Potenziell schwerwiegende Folgen einer Verletzung von Aufklärungspflichten

Die Verletzung einer Aufklärungspflicht kann schwerwiegende Rechtsfolgen nach sich ziehen. Denn der typischerweise im SPA vereinbarte Ausschluss des gesetzlichen Haftungsregimes erstreckt sich (aufgrund entgegenstehenden zwingenden Rechts) regelmäßig nicht auf eine Haftung des Verkäufers für vorsätzliches bzw. arglistiges Verhalten. Im Rahmen des dann anwendbaren gesetzlichen Haftungsregimes finden zudem vertraglich vereinbarte Haftungsbeschränkungen keine Geltung. Allein für vorsätzliches und arglistiges Verhalten von Erfüllungsgehilfen kann die Haftung ausgeschlossen werden. Im Falle einer unterlassenen Aufklärung über einen Mangel des Unternehmens wird der Käufer dem Verkäufer in aller Regel aber gerade arglistiges Verhalten vorwerfen (zu Arglist bei einer „Erklärung ins Blaue hinein“ s.o. 1.).

Der Käufer kann dann gegebenenfalls die (wirtschaftliche) Rückabwicklung des gesamten Unternehmenskaufs verlangen. Hat der Verkäufer positive Kenntnis von einem Mangel, so kann die Verletzung der Aufklärungspflicht sogar strafrechtliche Konsequenzen für die Beteiligten haben (Betrug, § 263 StGB). 

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